Kapitel 1.1, Ästhetische Erfahrung:
Während das Spektrum der Kompositionsmethoden, der verwendeten Klangmateriale, vertretenen Stile und Ansichten während der letzten Jahrzehnte immer unüberschaubarer zu werden scheint, rückt gewissermaßen die übrig gebliebene Konstante des Musikgeschehens ins...
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Kapitel 1.1, Ästhetische Erfahrung:
Während das Spektrum der Kompositionsmethoden, der verwendeten Klangmateriale, vertretenen Stile und Ansichten während der letzten Jahrzehnte immer unüberschaubarer zu werden scheint, rückt gewissermaßen die übrig gebliebene Konstante des Musikgeschehens ins Blickfeld: der Hörer und seine ästhetische Wahrnehmung.
Im Zentrum der theoretischen Analyse und häufig auch des Schaffens zeitgenössischer Musik steht die Beobachtung nicht des Musikgegenstandes, sondern der Vorgänge im Rezipienten. Man empfindet die ästhetische Erfahrung als konstante und ergiebige Quelle angesichts ständig sich wandelnder Musikformen. So ist es zur Zeit gerade nicht der Diskurs um die Autonomie von musikalischen Kunstwerken, der am meisten Zuspruch erfährt. Im Gegenteil, in dieser Frage zeigten sich viele Wissenschaftler und Künstler bis vor kurzem recht zurückhaltend oder skeptisch. Während also Komponisten in Abkehr von traditionellen Werkkategorien mehr und mehr mit den Möglichkeiten der rezipierenden Erfahrung ihrer Musik experimentieren, verlegen sich entsprechend die Theoretiker auf Ansätze, die ohne eine Bestimmung dessen auskommen, was ein Musikstück genau sein muss.
Nun entstammen die Überlegungen zur ästhetischen Erfahrung nicht erst der Auseinandersetzung mit gegenwärtiger Musik. Der Gedanke einer Ästhetik, die sich vorrangig mit den intellektuellen und emotionalen Reaktionen des Rezipienten auseinandersetzt, reicht zurück bis zur Kritik der Urteilskraft von Immanuel Kant. Zeitgenössische Musikästhetiker wie etwa Rüdiger Bubner, der als einer der ersten Autoren in den 1970er Jahren über die ästhetische Erfahrung schrieb und auf den ich später noch zu sprechen komme, argumentieren für eine Verabschiedung des funktionell problematischen Werkbegriffs und frischen dafür ausdrücklich den von Kant gestalteten Begriff der ästhetischen Urteilskraft wieder auf. Der nächste Abschnitt ist folglich einer kurzen Erklärung einiger Komponenten der kantischen Ästhetik gewidmet.
Um von Kant ausgehend im Folgenden einen übersichtlichen Diskussionsverlauf skizzieren zu können, habe ich mich dazu entschlossen, weitgehend chronologisch vorgehen. Denn es sind zwar die relevanten Begriffe und Setzungen, die ich behandeln möchte, bei den meisten Autoren zu finden. Würde ich aber systematisch nach den eingeführten und diskutierten Kategorien vorgehen, würden die Texte der Autoren stark auseinandergenommen und ihre Verständlichkeit wohl zu sehr leiden.
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