Prolog Chalid Murat, der Führer der tschetschenischen Rebellen, saß unbeweglich im mittleren Fahrzeug der kleinen Kolonne, die sich ihren Weg durch die zerbombten Straßen von Grosny bahnte. Die Schützenpanzer BTR-60 BP stammten aus russischen Beständen, sodass der Konvoi als solcher sich nicht...
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Prolog Chalid Murat, der Führer der tschetschenischen Rebellen, saß unbeweglich im mittleren Fahrzeug der kleinen Kolonne, die sich ihren Weg durch die zerbombten Straßen von Grosny bahnte. Die Schützenpanzer BTR-60 BP stammten aus russischen Beständen, sodass der Konvoi als solcher sich nicht von all den anderen unterschied, die auf Streifenfahrt durch die Stadt rasselten. Murats schwer bewaffnete Männer hockten in den beiden anderen Fahrzeugen eines vor und eines hinter seinem eigenen. Sie waren zum Krankenhaus Nummer neun unterwegs, das zu den sechs oder sieben Verstecken gehörte, die Murat benützte, um drei Schritte vor den russischen Truppen zu bleiben, die nach ihm fahndeten. Murat hatte einen schwarzen Vollbart, die tapsigen Bewegungen eines Bären und den feurigen Blick eines wahren Eiferers. Er hatte frühzeitig gelernt, dass man nur mit eiserner Faust herrschen konnte. Er war dabei gewesen, als Jochar Dudajew erfolglos die Scharia, das religiöse Gesetz des Islams, eingeführt hatte. Er hatte das Blutbad erlebt, mit dem alles angefangen hatte, als von Tschetschenien aus operierende Kriegsherren, ausländische Verbündete Osama bin Ladens, in Daghestan eingefallen waren und in Moskau und Wolgodonsk Bombenanschläge hatten ausführen lassen, denen zweihundert Menschen zum Opfer gefallen waren. Als diese von Ausländern verübten Anschläge fälschlicherweise tschetschenischen Terroristen zugeschrieben wurden, hatten die Russen mit ihren verheerenden Bombenangriffen auf Grosny begonnen und große Teile der Hauptstadt in Trümmer gelegt. Der Himmel über der Stadt war verschleiert, durch ständige Zufuhr von Asche und Schlacke getrübt; in dem Dunst entstand ein schimmerndes Leuchten, das so stark war, dass es fast radioaktiv wirkte. Überall in der Trümmerlandschaft brannten blakende Ölfeuer. Chalid Murat starrte durch die getönte Panzerglasscheibe, als die Kolonne am ausgebrannten Skelett eines Gebäudes vorbeirollte: massiv, imposant aufragend, das dachlose Innere von flackernden Flammen erfüllt. Er grunzte, wandte sich an seinen Stellvertreter Hassan Arsenow und sagte: »Grosny war einst die Heimatstadt von Liebespaaren, die auf den breiten, von Bäumen gesäumten Boulevards flanierten, von Müttern, die Kinderwagen über die begrünten Plätze schoben. Der große Zirkus war jeden Abend ausverkauft, voller fröhlicher, lachender Gesichter, und Architekten aus aller Welt pilgerten hierher, um die prachtvollen Gebäude zu sehen, die Grosny einst zu einer der schönsten Städte der Welt gemacht haben.« Er schüttelte trübselig den Kopf, schlug dem anderen kameradschaftlich aufs Knie. »Allah, Hassan!«, rief er aus. »Sieh es dir genau an! Die Russen haben alles zerstört, was gut und schön war!« Hassan Arsenow nickte. Er war ein lebhafter, energischer Mann, volle zehn Jahre jünger als Murat. Als ehemaliger Biathlet hatte er die breiten Schultern und schmalen Hüften eines geborenen Athleten. Als Murat zum Führer der Rebellen aufgestiegen war, hatte Arsenow ihn begleitet. Jetzt machte er Murat auf ein ausgebranntes Gebäude rechts vor ihnen aufmerksam. »Vor dem Krieg«, sagte er nachdrücklich ernst, »als Grosny noch ein Raffineriezentrum war, hat mein Vater dort im Öl-Institut gearbeitet. Statt Gewinnen aus der Ölförderung bekommen wir jetzt Großbrände, die unsere Luft und unser Wasser verunreinigen.« Die beiden Aufständischen verfielen angesichts der ausgebombten Gebäude, zwischen denen sie hindurchfuhren, und der leeren Straßen, über die nur Aasfresser menschliche und tierische huschten, in bedrücktes Schweigen.
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